Hallo Ulrike, unsere trockenen Versicherungstexte dürfen spritziger werden, Ulrike!
Ulrike und Versicherung? Verrückt. Ja, das habe ich vor zwei Jahren auch gedacht, als ein Versicherungsunternehmen bei mir angefragt hat. Im Rückblick hat mir das Texten der Karriere-Webseite sowie das Feinpolieren von rund siebzig Produkttexten ein Riesengaudi bereitet.
Trockenen Texten und komplexen Themen mehr Kohlensäure einzuhauchen, fordert unsere Schreibmuskel so richtig schön heraus. Am Ende des Projektes möchte ich gerne meine Lieblingstipps mit dir teilen, wie du lebendiger schreibt. Das gilt nicht nur für Themen rund um Finanzen, Steuern, Technik oder Versicherung, sondern für jede Textsorte.
1) Kürze Schachtelsätze!
Schachtelsätze sind lange, komplizierte gebaute Sätze mit mehrfach untergeordneten Nebensätzen. Zu viele davon machen deine Texte schal. Sie verstopfen das Gehirn der Leserschaft. Haben fast denselben Effekt wie eine Glutenunverträglichkeit. Führen zu starken Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder Langweile. Als Autor*in stöberst du Schachtelsätze beim lauten Lesen auf. Warum? Weil du dir in diesem Moment selbst nicht mehr zuhörst. Kürze deine Sätze – fast auf Hemingway-Niveau. 🙂
Der Fluss war da. Es war ein heißer Tag.“ Ernest Hemingway, „Big Two-Hearted River“
2) Mehr Bäääm!
Ah, aah, argh, bam, rrrrrums, klirr, mampf, boing … mit diesen Wörtern aus der Comic-Sprache ahmst du Laute und Geräusche nach. Die Lautmalerei, also die schriftliche Darstellung eines Ausrufes oder Geräusches, bewirken, dass deine Texte hörbarer und spannender werden.
Arg! – Ausgerechnet sonntags. Die Tür fällt zu. Der Schlüssel liegt in der Wohnung. Und gleich kommt die Schwiegermutter auf einen Kaffee …
3) Hole Menschen emotional ab!
Nimm Sie beim Schreiben an die Hand. Fühle dich mit Kopf, Bauch und Hirn in die Synapsen der Leserschaft ein. Bleibe dabei anständig: Texte nicht mit Angst oder Druck. Bei den Versicherungstexten hat mir die Methode des „Method Acting“ geholfen. Diese Methode kommt aus der Schauspielerei und besagt, dass die Schauspielerin mit den eigenen Erinnerungen und Erlebnis arbeitet: Wie fühlt es sich zum Beispiel an, wenn du als 15-Jährige mit dem Mofa über die Landstrasse knatterst? – Texte daher so, als läufst du in den Mokassin deiner Leserin und Leser.
Fahrtwind im Gesicht. Vibrierender Sattel. Übers Land cruisen. Dem Sonnenuntergang entgegen. – Hach, Moped, Roller, Mokick, Mofa oder Leichtmofa sind nicht nur das schnellste Verkehrsmittel in der City …
4) Bringe Komplexes auf den Punkt
Wenn Menschen deine Texte nicht verstehen, werden sie kein Vertrauen zu deiner Marke oder deinem Produkt aufbauen. Dagegen schmecken Texte so prickelnd wie Brausewasser, wenn du komplexe Sachverhalte
verständlich erklärst. Der Küchenzuruf von Henri Nannen, Gründer und Verleger des Sterns, hilft mir, die Kernaussage eines Textes zu erfassen. In maximal drei kurzen Sätzen. Pro Satz eine Botschaft. Da ich für eine diverse Welt stehe, habe ich den Küchenzuruf leicht abgewandelt:
Ein Frau sitzt im Wohnzimmer und liest Zeitung. Ihr Mann kocht gerade in der Küche. Nach der Lektüre eines Artikels ruft sie ihm zu:
„Mensch Gerd, die in Bonn spinnen komplett! Die wollen schon wieder die Steuern erhöhen!“
Jeder Text muss einen Küchenzuruf haben – so klar wie Gletscherwasser formuliert. Ansonsten funktioniert der Text nicht. Den Küchenzuruf kannst du prima mit deinen Kolleg*innen oder auch mit deinen Kindern ausprobieren. Nehmen wir als Beispiel eine Steuerberaterin, die über einen Blogartikel über die Energiepreispauschale schreiben will. Beim Mittagessen in der Kantine erzählt sie ihrer Kollegin:
„Stell dir vor, Selbstständige müssen im 3. Quartal 2022 weniger Einkommenssteuer zahlen. Auch, wenn Sie keine Vorauszahlungen leisten! Ich schreibe gerade einen Blogartikel, der zeigt, wie das geht.“
5) Weniger Hauptwörter
Die Feststellung des Liquiditätsengpasses und die Festsetzung der Soforthilfe beruhen auf § 53 Landeshaushaltsordnung NRW i.V.m. der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von Sars-CoV-2 („Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020“), der Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen über die „Corona-Soforthilfen insbesondere für kleine Unternehmen und Solo-Selbstständige“ vom 01.04.2020 einschließlich der dazu erlassenen Vollzugshinweise sowie den Soforthilfe- Richtlinien.
Arg! Diesen Satz habe ich im Schlussbescheid der Corona-Soforthilfe entdeckt. Sicherlich denkt der Empfänger dieses Textes schnell ans Schlussmachen. Was ist hier passiert? Zu viele Hauptwörter, das gilt vor allem für solche, die auf „ung“, „keit“, oder „heit“ enden, machen den Text lahm. Wir bekommen Durst auf Verben. Denn erst Verben sorgen dafür, dass unsere Texte spritzig werden.
Über die Suchfunktion in deinem Textprogramm kannst du als Autor*in schnell diese Hauptwörter aufstöbern.
6) Mehr Rhythmus!
Was zeichnet eine gute DJane aus? Sie motiviert ihr Publikum zum Tanzen – mit vielfältigen Songs, mit Rhythmus und bewusst eingesetzten Pausen. Genau das kannst du auch beim Überarbeiten von trockenen Texten. Im ersten Schritt kürzt du lange Schachtelsätze. Das Gehirn schaltet sofort ab, langweilt sich und geht von der Tanzfläche. Um die Leserin und den Leser bei der Stange zu halten: Mache. Einen. Punkt. Der Punkt wirkt für den Leser wie eine Pause. Puh, jetzt kann er mal kurz durchatmen, verschnaufen und Inhalte verdauen.
Oder setze öfters einen Doppelpunkt. Einen Gedankenstrich. Oder stelle eine Frage wie: „Neues lernen? Ja das geht.“
Die Tür fällt zu. Der Schlüssel liegt in der Wohnung.
Die Tür fällt zu, aber der Schlüssel liegt in der Wohnung.
Die Tür fällt zu – aber der Schlüssel liegt in der Wohnung.
Die Tür fällt zu: Der Schlüssel liegt aber in der Wohnung.
Die Tür fällt zu und der Schlüssel liegt in der Wohnung.
7) Reduziere Adjektive
Hier kommt mein atemberaubender, außergewöhnlicher, wichtiger und ganzheitlicher Tipp für dich. Diese Aneinanderreihung von Adjektiven wirkt wie eine Polonaise im Kölner Karneval. Am Ende der Polonaise weiß keiner mehr, wer am Anfang steht. Das Problem: Das Lesergehirn fühlt sich mit Adjektiven überflutet und schaltet ab. Bei Verkaufstexten und bei Karriere-Webseiten wird dieser Fehler sehr gerne gemacht. Wie bei den anderen Tipps gilt, lautes Lesen hilft dir, Adjektiv-Polonaisen zu entdecken.
8) Verwende Füllwörter
Ulrike, Füllwörter nutzen? Du hast recht. Normalerweise schwächen Füllwörter wie zum Beispiel einfach, ziemlich, quasi, gern, wirklich jeden Text. Doch bei „schwierigen“ Themen wie zum Beispiel Unfall- oder Sterbegeldversicherung können Füllwörter wie ein Weichzeichner wirken. In der gesprochenen Sprache verwenden wir gerne Füllwörter, damit unsere Aussage beim Empfänger weicher rüberkommt: „Ich finde dich manchmal einfach etwas chaotisch.“
9) Aktiv statt Passiv
Hihi, früher im Deutschunterricht gehörten Passivkonstruktionen zu einem guten Aufsatzstil. Das Passiv wirkt auf uns Menschen immer distanziert und sehr förmlich: „Die Auftragsbestätigung wird gemailt“. Aktiver und näher am Menschen ist dagegen: „Wir mailen die Auftragsbestätigung zu“. Oder „Sie erhalten die Auftragsbestätigung.“ Diesen Klassiker findest du leider immer noch sehr häufig in der trockenen Behördensprache.
10) Kraftvolle Wörter
Welches Wort bringt 100% Kohlensäure in deine Texte? Welches Wort erzeugt Bilder und Emotionen bei deiner Kundschaft? In dem Entwurf deines Blogartikels schreibst du zum Beispiel: „Susanne geht durch die neue Wohnung.“ Okay, und was willst du deiner Leser*innen wirklich sagen? Flaniert, hüpft, schleicht oder kriecht Susanne durch die Wohnung? Das Verb verrät uns immer etwas über das Subjekt. Probiere es sofort aus:
gehen
schreiten
flanieren
schleichen
stolpern
schlürfen
latschen
schlendern
krabbeln
hüpfen
gallopieren
kriechen
11) Die Champagnerklasse: Schreibe mit Dachmetaphern!
Wenn deine Texte in Zukunft wie artesisches Mineralwasser sprudeln sollen, gefällt dir mein letzter Tipp besonders gut. Bildhafte Sprache lockert grundsätzlich jeden trockenen Text auf. Natürlich immer sparsam eingesetzt. Wenn als Personenmarke oder Unternehmen dich dauerhaft für eine Dachmetapher entscheidest, stärkst du gleichzeitig dein Branding. Deine Leserschaft wird dich an deinen Worten erkennen. Vertrauen zu deinem Produkt aufbauen und gerne bei dir kaufen.
Du entwickelt Begriffe aus einer Metapherwelt zum Beispiel rund um die Seefahrt, Reisen oder Garten. Bei meinen Versicherungstexten durfte ich viel für die Landwirtschaft texten. Mi diese Worten wurden die Produkttexte bildhafter:
Dachmetapher Landwirtschaft:
säen
ernten
Mutter Erde
Arbeitstiere
Ernte einfahren
auf dem eigenen Mist gewachsen
da kräht kein Hahn nach
Schwein gehabt
Mutter Natur
Jetzt wünsche ich dir ganz viele Freude bei der Umsetzung meiner Tipps! Falls du eine Sparringspartnerin für mehr „Content mit Kohlensäure“ brauchst, maile mich gerne an!
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